In Rotenburg angekommen, stellte ich mir die Frage, ob ich wirklich in diesem winzigen Schlosspark von ca. 400 x200 m Fläche laufen wolle. Aber da ich schon mal da war ging ich doch an den Start. Ich hatte Marcus als Opfer ausersehen. Wahrscheinlich bin ich schon berüchtigt, dass ich mir immer Opfer suche, dessen meditative Laufruhe ich dann mindestens 30 km störe.Marcus hatte sich 50 km plus x zum Ziel gesetzt. Dieses Ziel fand ich ganz in Ordnung, nachdem ich die Tage vorher zwischen mindesten 30 km, mehr als Marathon oder 50 km schwankte. Eine durchaus realistische Strecke von 55 km hatte ich als unangemessen für einen Trainingslaufes verworfen.
Die Starthupe ertönte und wir zottelten los. Die ersten Runden hatten wir Zeit, den eigentlich schönen Schlosspark näher zu betrachten. Die wohl ehemals barocke Anlage wurde irgendwann zum Landschaftspark umgestaltet, der in den letzten 40 Jahren nützliche Ergänzungen bekam, wie ein Internat in Kastenform, eine Jugendherberge, einen Pavillon mit italienischem Restaurant, einen Kinderspielplatz, Reste einer Betonpergola und einen Minigolfplatz. Alle diese Elemente warten darauf, das Alter des Kriegsdenkmals von 1870/71 zu bekommen, damit der historische Wert die parkverschandelnde Wirkung übersteigt.
Es war ein gemütliches Laufen mit Marcus. Man unterhielt sich, begutachtete die Mitläufer von denen man permanent überholt wurde oder die man selbst überholte. Die Zeit verging wie im Fluge, wir liefen konstant 7 min pro Runde was etwa ein Schnitt von 6:20 min/km entsprach.
Dazwischen bekamen wir bedeutsame Informationen von anderen Läufern, so dass der PSV Grün-Weiß seinen Namen nicht ändert, obwohl die Polizei jetzt blaue Uniformen bekommt oder dass die Bäume an der Fulda nummeriert sind. Letztere Information machte mein Vorhaben zu nichte bei zu großer Langeweile die Bäume im Park zu zählen. Doch langweilig wurde es eigentlich nie. Nach über drei Stunden stellten wir fest, dass schon recht viele Läufer gingen, auch wir wurden etwas müde.
Die mehr werdenden Läufer mit ihren Fähnchen für die Marathonrunde motivierten und irgendwann bei 4:25 h hatten wir die Marathonrunde absolviert und wussten, dass die 50 km kein Problem werden würden.
Nach 5 Stunden begann Marcus etwas zu schwächeln und verlangsamte das Tempo auf eine Geschwindigkeit, die für mich mehr Kraft kostete und so verließ ich ihn. Ich begann zu rechnen, ob die 50 km in Runde 44 oder 45 erreicht werden.
Da überkam mich das Bedürfnis eine Baumdüngung vorzunehmen, doch statt des gelben Düngerstrahls durchzuckte ein stechender Schmerz meine Niere. Ich konnte kaum noch gehen und Gedanken an das Aufhören und einen Arzt machten sich breit. Doch zwei Becher Wasser später ging es schon wieder. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass noch fast eine halbe Stunde Zeit war und das zwischendurch anvisierte und wieder fallengelassene Ziel von 48 Runden locker zu schaffen wäre. So begannen die schönsten drei Runden im inzwischen dauerhaften Sonnenschein. Meine Plastikbox mit dem unbenutzten MP3-Player erreichte ich 3 Minuten vor der Endhupe und beendete meinen Lauf damit vorfristig. Das Ergebnisprotokoll zeigte schließlich 55,123 km an.
Fazit: Ein 6h – Lauf ist nicht langweilig, vor allem wenn man genügend andere Läufer kennt, und hat nur wenig mit der Einsamkeit eines Langstreckenläufers zu tun. Gegenüber normalen Läufen kann man hier den Lauf der anderen unmittelbar mitverfolgen, das bildet Schicksalsgemeinschaften. Das Gefühl, jederzeit aufhören oder nur gehen zu können, erleichtert das Laufen. Gezottelte 6 h sind weniger anstrengend als ein auf Bestzeit gelaufener Marathon. Außerdem sind die 6 Stunden von Rotenburg eine toll organisierter Lauf in familiärer Atmosphäre.
Eine tolle Reportage über den Lauf hat Heidi Schmitt produziert. > Klick <
8 Kommentare:
Ich gratulier Dir ganz herzlich Jörg! Wenn ich nicht gänzlich andere Pläne hätte... reizen tät mich`s schon!!!
Ja, Rotenburg ist schon eine schöne Veranstaltung. Letztes Jahr mußte ich ja leider verletzungsbedingt aussteigen und mich auf's Zeitmessen und Marathonfähnchen verteilen beschränken, aber ich konnte deinen Bericht gut nachvollziehen.
Irgenwann bin ich da bestimmt auch wieder dabei.
Und nach deinem Bericht gehe ich mal davon aus, dass es für dich auch nicht das letzte Mal gewesen ist ;-)
Glückwunsch zu Bericht und Leistung!
Na das klingt doch schon mal gut. Herzlichen Glückwunsch zum Finish - und dann können die nächsten spannenden Aufgaben ja kommen. Und ich teile Deine Meinung, ein "paar" Stunden Ultra sind oft weitaus weniger anstrengend als ein voll gelaufener Marathon!
Schöne Grüße
Lars
Hallo Jörg: Da ich selber auch an der Veranstaltung teilgenommen habe (es war auch mein erster Ultra) kann ich alles sehr gut nachvollziehen. Es wird wohl auch nicht der Letzte gewesen sein. Leider hab ich keine Bilder von der Veranstaltung. Vielleicht kannst Du mir da aushelfen?
@ -frank Da mußt du mal eine Mailadresse angeben (ich kann die dann auch hier wieder löschen)
nun sehe ich endlich mal die Fotos zu dem Lauf. Sieht wirklich gut aus und weniger eintönig, als ich erwartet hätte.
mandy
Toll, Jörg.
Ich bewundere diese Sechs-Stunden-viele-Kurzrunden-Läufer ja ohne Ende.
Vielleicht mach ich das auch mal irgendwann.
Vielleicht! ;-)
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