Um ehrlich zu sein – eigentlich war mir Wien fremd. Die gediegene, fast
aristokratische Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts, Walzerseeligkeit
und Wiener Schmäh entsprechen nicht unbedingt meinem Lebensgefühl. Doch
es gibt gute Gründe, die mich in den letzten Jahren immer wieder nach
Wien getrieben haben und mich der Stadt näher brachten. Letztes Jahr
lief ich kurz entschlossen beim LCC – Herbstmarathon eine für mich
sagenhafte Bestzeit beim Halbmarathon und hatte dort Wolfgang und seine
Frau Gudrun kennen gelernt, auch das verbindet.
Dieses Frühjahr sollte es nun der Vienna-City-Marathon werden. Ich war
gut vorbereitet und hatte die Hoffnung nach einer PB von 4:12 unter 4 h
zu kommen.
Am Vortag trafen wir Wolfgang und Gudrun schon auf der
Kaiserschmarrnparty, die stilecht im Festsaal des beeindruckenden Wiener
Rathauses stattfand. Auf dem kleinen Foritreffen, das Wolfgang bei
einem Italiener in der Nähe des Stephansdoms organisiert hatte, lernte
ich Bernie 78 kennen. Die Laufgeschichten machten Lust auf den folgenden
Tag.
Bernie hatte für den Lauftag etwas von 20° gehört, doch früh um 8:00 Uhr
traf man die Läufer schon in kurzen Hosen in der U-Bahn. Es schien warm
zu werden. Der Start lag jenseits der Donau zu Füßen der gigantischen
Hochhäuser der Uno-City, dem Teil Wiens, den ich bisher nur aus der
Ferne kannte. Hier zeigte sich schon die Top-Organisation, die den
ganzen Lauf auszeichnen sollte. Wir wurden beschallt mit klassischer
Musik, der österreichischen Nationalhymne und dem Donauwalzer, der
Himmel war blau, es passte einfach alles zusammen.
Nach dem Startschuss überquert man sofort die Reichsbrücke (es gibt
Namen, die gehen wohl nur noch in Österreich). Vor sich sah man den
Stephansdom über die Dächer der Innenstadt schauen. Sah man rechts die
Donau hinauf, konnte man den Kahlenberg im Wienerwald entdecken, wo 1683
der polnische König, die türkischen Belagerer Wiens besiegte, womit der
Niedergang der Türkenherrschaft in Europa eingeläutet war.
Dann ging es am Riesenrad vorbei in den Prater, der nicht nur Rummel
sondern zuerst ein riesiger Landschaftspark mit Alleen und gerade
blühenden Kastanien ist. Die 4,5 km lange Hauptallee wird zuerst nur bis
zu Hälfte gelaufen, dann biegt der Lauf ab und führt etwa bei Kilometer
5 an den von einem Grünstreifen gesäumten Donaukanal. Ich lief mit
einem Freund zusammen einen ziemlich exakten Schnitt von 5:30 min/km und
die Strecke flog vorbei. Bald kamen wir auf den Ring, der von
historistischen Gebäuden des 19.Jahrhunderts gesäumt, als eine der
Hauptattraktionen Wiens gilt. Hier stand nicht nur das Kilometerschild
11 sondern auch 40, was zur leisen Frage führte, wie es uns dann gehen
wird. An der Staatsoper verließen wir den Ring, rechter Hand tauchte das
Ausstellungshaus der Wiener Secession auf, eines der beeindruckensten
Jugendstilgebäude mit seiner Krautkopf (Krauthappel) genannten
goldfarbenen Blätterwerkkuppel. Nach diesem Hingucker begann ein eher
ödes Stück des Laufes ca. 5 km die Linke Wienzeile entlang Richtung
Schönbrunn. Nachdem wir bisher vor allem beschattete Alleen als
Laufstrecke hatten, knallte uns die Sonne an dieser Ausfallstraße
brennend aufs Haupt. Wir sahen einzelne Läufer am Rand liegen und
befürchteten eine Hitzeschlacht. Doch wir konnten auf diesen schweren
Kilometern, die auch leicht bergan gingen, das Tempo gut halten. Schloss
Schönbrunn sahen wir leider nur einen kurzen Moment, dann knickte die
Laufstrecke ab Richtung Stadt zurück. Hier war auch der Wechsel der
Marathonstaffel. Der folgende Staffelabschnitt war nur 5 km lang, so
dass plötzlich eher etwas unförmigere und langsame Läufer den Weg
versperrten und Überholmanöver notwendig machten.
Der Lauf führte durch die Mariahilfer Straße, eine der
Haupteinkaufstraßen Wiens, zurück zum Ring, wo die Halbmarathonis ihr
Ziel erreicht hatten. Für uns ging es den Ring weiter, wo unser
persönliches Betreuerteam uns jubelnd und fotografierend für die zweite
Hälfte motivierte. Inzwischen waren Wolken aufgezogen und es hatte sich
merklich abgekühlt, der nächste Becher Wasser, den ich über den Kopf
goss war schon eher unangenehm. Bei Kilometer 24 erreichten wir wieder
den Donaukanal, dem wir nun 5 km folgten. Ich ließ nun meinen
Lauffreund, der eigentlich den Marathon eine halbe Stunde schneller als
ich laufen kann, zurück. Nach seinen langen verletzungsbedingten Pausen,
wollte er etwas Tempo raus nehmen.
Ab Kilometer 27 begann eine ca. 12 Kilometer lange Pendelstrecke. Für
mich war es eine willkommene Abwechslung, konnte ich doch erst die
vorderen Läufer beobachten und dann nach Bekannten Ausschau halten. So
entdeckte ich im Prater auch Elcorredor Wolfgang. Nur Bernie hielt sich
versteckt. Am Ernst-Happel-Stadion vorbei, wo 2008 das Finale der
Fußball WM- ach nein EM- stattfinden wird, ging es die Praterhauptallee
von dem Punkt aus weiter, wo wir bei km 5 abgebogen waren. Nach der
Umrundung des Lusthauses am Ende der Allee war ich bei km 33 nun auf dem
Rückweg. Langsam wurde das Laufen schwerer und es begannen
Kopfrechnungen der Art: Wenn ich den nächsten Kilometer noch in 5:30
laufe, kann ich die restlichen Kilometer in der Zeit x laufen und bleibe
noch unter 4 h. Wieder am Donaukanal berichtete Radio Wien aus den
großen Lautsprechern über den Marathon – interessant zu hören. Bald war
auch wieder der Ring erreicht und der 2 Stunden vorher gesehene
Kilometer 40 tauchte wieder auf. Offenbachs Cancan belebte die müden
Muskeln, rechts tauchte die Staatsoper auf und dann bog auch die
Laufstrecke nach links ab zum Heldenplatz – was könnte ein passender
Name für das Ziel sein?
Die Uhr war für mich bei 3:52:55 stehen geblieben – ich war glücklich.
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